Ich habe mal wieder einen
interessanten Artikel zum Thema gefunden. Der Text ist zugegebenermaßen sehr schön geschrieben und beleuchtet zudem ein wenig die Historie des Kinos. Ich werde mal auf ein paar Aussagen eingehen. Quelle für alle nun folgenden Zitate ist logischerweise der verlinkte Text auf profil.at von Stefan Grissemann.
Die kleinen Bildschirme unserer Handys, Tablets und Laptops haben über den Big Screen triumphiert, haben das Kino verdrängt und ausgestochen. Das geschah, zugegeben, nicht erst 2021, aber Covid-19 hat diese Entwicklung merklich beschleunigt.
Diese Aussage ist vermutlich kaum noch abzustreiten, auch wenn es teilweise Gegenentwürfe dazu gibt und behauptet wird, dass es vor Corona doch gar nicht
so schlecht für die Lichtspielhäuser gelaufen ist. Aber seien wir ehrlich: Man bekommt es doch auch aus dem eigenen Freundeskreis mit, dass das Kino schlicht und ergreifend keine feste Größe mehr in der Freizeitgestaltung der meisten Leute ist – und das nicht erst seit der Pandemie. Allerdings würde ich es auch nicht so martialisch formulieren, dass die kleinen Bildschirme über die großen "triumphiert" hätten. Vielmehr haben sich die Sehgewohnheiten verlagert.
Allerdings kenne ich auch keinen, der wirklich FIlme und Serien über das Smartphone schauen würde. Der kleinste Screen, den ich dafür mal genutzt habe, war mein Tablet. Das aber auch nur wenige Male. Ansonsten gucke ich immer auf dem großen Fernseher, was im Grunde mein gesamter Freundeskreis genauso handhabt. Es wird also nach wie vor darauf geachtet, das Filmerlebnis nicht merklich zu schmälern.
Manohla Dargis, Filmkritikerin der "New York Times", berichtete unlängst davon, wie "herrlich" es gewesen sei, als sie im vergangenen Juli "einen der mittelmäßigsten Filme des Jahres" gesehen habe. Das Werk sei "schäbig, banal und nervig" gewesen, aber gegen ihre Dankbarkeit, nach mehr als 16 Monaten des Heim-Streamings ins Kino zurückkehren und gemeinsam mit anderen auf eine große Leinwand blicken zu können, hätten künstlerische Einwände nichts ausrichten können.
Finde ich fast schon traurig, dass sich hier mehr über das Wie als über das Was gefreut wird. Das wäre ja irgendwie so, als würde ich mir live eine Band ansehen, die keinen meiner Lieblingssongs spielt – aber Hauptsache, ich habe mit anderen Leuten vor einer Bühne gestanden und ein Bier getrunken. Es wird aber auch das angesprochen, was ich hier bereits erwähnt hatte: Mittelmaß. In meiner ganzen Zeit als Filmkritiker, der auf etlichen Pressevorführungen und auch privat sehr oft im Kino war, habe ich ohne Ende mittelmäßige Filme gesehen und sehen müssen. Und dafür soll ich mich ins Kino quälen?
Hat man in Zeiten globaler Krisen weniger hohe Erwartungen an die Kultur?
Mag sein. Vielleicht haben viele aber auch erkannt, dass es wesentlich wichtigere Dinge gibt – und dementsprechend Prioritäten gesetzt. Bei mir hat sich das z.B. in der Form geäußert, dass ich mit dem Hören von Podcasts angefangen habe, die eben
nichts mit Filmen zu tun haben, sondern mich in meiner Weiterentwicklung und meinem Denken voranbringen und mir auch mal andere Sichtweisen eröffnen. Ich habe gelernt, meinen digitalen Konsum besser zu steuern und damit auch wertvolle Lebenszeit für wertvollere Dinge zu verwenden.
Das niederschwellige Unterhaltungsangebot der Streaming-Dienste verführt dazu, es unkritisch hinzunehmen: An die bewegten Bilder, die man sich über AppleTV, Disney+ und Netflix verschafft, stellt man kaum Ansprüche, schon weil sie kostengünstig sind und man für sie ja nicht extra das Haus verlassen musste.
Also, ich kann da ja nur für mich sprechen, aber ich habe nicht wirklich eine unkritischere Sichtweise, nur weil etwas einfacher zu haben ist. Eher bewerte ich hauseigene Produktionen der Streaming-Dienste an dem Hype, der um sie gemacht wird. Das hat auch erst mal gar nichts mit dem Kanal zu tun, über den sie ausgespielt werden. Davon mal abgesehen sind Filme, die zuerst im Kino laufen, ja auch irgendwann auf diesen Plattformen zu sehen.
Warum sollte man sich, angesichts eines Online-Filmüberangebots, das Kinogehen überhaupt noch antun? Die Frage klingt berechtigt, die Antwort ein wenig kompliziert: Weil das Erlebnis, ein Werk, das nicht fürs Fernsehen entstanden ist, an dem Ort zu sehen, für den es gemacht wurde, daheim nicht zu haben ist.
Wobei mich mal interessieren würde, welche großartigen Werke der Autor hier meint. Da fällt mir als Erstes "Tenet" ein, aber dann hört es auch schon wieder auf. Ob ich mir irgendein CGI-Gedaddel im Kino oder zu Hause anschaue, ist doch ziemlich egal. Und ich finde, ein Film kann sich für mich persönlich genau dann die Auszeichnung als Meisterwerk ans Rever heften, wenn es inszenatorisch und erzählerisch so gut ist, dass es auf allen Bildschirmgrößen funktioniert.
Anders als im Theater geht es im Kino nicht um gesellschaftliche Wirkung, im Gegenteil: Man bleibt in der Öffentlichkeit anonym, ganz bei sich.
Was denn nun? Die einen sagen, dass es beim Kino um den gesellschaftlichen Aspekt geht, mit anderen ein Filmerlebnis zu teilen, die anderen behaupten, dass man im Grunde doch ganz "anonym" unter anderen Leuten sitzt. Der Autor verliert jetzt noch ein paar wohlformulierte Worte über die Magie und die Wirkung des Kinos, um dann zu behaupten:
Im Kino wird das Unbewusste auf eigene Weise aktiviert. Mit einer von der Couch aus betrachteten Episode der Thriller-Serie "Squid Game" wird das eher nicht gelingen.
Auch hier wieder Schwarz-Weiß-Malerei. Als ob es bei den Streaming-Anbietern nur die hauseigenen Produktionen gäbe. Es hat schon seinen Grund, weshalb auch Hollywood vermehrt auf diesen Vertriebsweg setzt.
Der zeitliche Rahmen, den das Kino vorgibt, vermittelt ein Gefühl des Außerordentlichen. Wer sich einst, bevor es das Fernsehen gab, mit Bewegtbildern befasste, tat es (notgedrungen) in der besonderen Zeit eines Kinobesuchs. Seit TV-Shows und Serien in den 1960er-Jahren unsere Aufmerksamkeit zu erringen begannen, haben die Bilder das Eminente verloren, sind zu einem Requisit des Alltags geworden.
Vor allem vermittelt das Kino außerordentliche Vorgaben, die sich kaum noch jemand vorschreiben lassen möchte – verständlicherweise. Mitunter ein Grund, weshalb sich On-Demand-Angebote in dieser Breite derart durchgesetzt haben. Es gibt einem doch wesentlich mehr Freiheiten, wenn man sich nicht an Termine halten muss, um einen Film zu sehen, sondern selbst entscheiden kann, wo und wann man es unterbringt. Davon mal abgesehen: Ich könnte auf Anhieb mehr Serien als Filme nennen, die mich in den letzten paar Jahren wirklich gefesselt haben. Auch das ist ein Indiz für die qualitativen Unterschiede und wie sehr das Kino in dieser Hinsicht mittlerweile nachgelassen hat.
Zwischen 1961 und 1972 sperrten in Westdeutschland 3500 Kinos zu, mehr als die Hälfte des Gesamtbestandes. Der entscheidende Grund für diesen Kahlschlag war, natürlich, das Fernsehen, das Filme in die Wohnzimmer der Menschen brachte. Es waren zwar nicht die Filme selbst, die man sah, bloß fahle elektronische Kopien davon, aber es war im Gegenzug sehr viel bequemer. Dann kamen Video, VHS und DVD, Internet und der digitale Umsturz. Das Filmmedium verwandelte sich, blendete in etwas anderes, viel leichter Verfügbares über.
Tja, das ist nun mal der Lauf der Dinge. "Leichter verfügbar" bedeutet aber auch mehr soziale und kulturelle Teilhabe für Menschen, die sich Kinobesuche nicht so locker leisten können. Dazu kommt – das hatte ich auch schon erwähnt – dass Kinos diesen Umsturz nicht haben kommen sehen oder ihn ausgeblendet haben. Aber daran zeigt sich auch, dass das klassische Kinos an seine Grenzen kommt. Was wollen Kinos noch großartig anders machen? Ein paar Sitze, die sie sich bewegen? Neue Sound-Anlagen, die für mich einfach nur lauter, aber nicht wirklich besser geworden sind? Ich kann es mittlerweile gut verstehen, dass sich viele Leute einfach nicht mehr den Stress und die Kosten geben wollen, die mit einem Kinobesuch unweigerlich einhergehen. Vor allem dann nicht, wenn man nicht weiß, man qualitativ am Ende bekommt. Habe ich einen durchwachsenen Film zu Hause gesehen, kann ich geflissentlich darüber hinwegsehen. Habe ich aber stattdessen Anfahrt und Kosten in Kauf genommen, ärgere ich mich umso mehr. Wie gesagt, das Heimkino hat sich weiterentwickelt und ist noch bequemer geworden – den Kinohäusern ist schlicht und ergreifend nicht viel Neues eingefallen. Man hat sich viel zu lange alleine auf der Leinwandgröße ausgeruht.
Man verlässt, wenn man ins Kino will, das Haus, lässt zugleich aber auch die Außenwelt hinter sich, die wie suspendiert vor dem Kinoportal auf unsere Rückkehr zu warten scheint; man taucht in eine doppelte Innenwelt ab: in den dunklen Zuschauerraum und die Binnenlogik jenes Films, den man gewählt hat. Während eines Streaming-Erlebnisses dagegen bleibt, auch wenn man sein Wohnzimmer verdunkelt und sich zu konzentrieren versucht, die Außenwelt dauerhaft präsent; man kann (und wird) telefonieren, sich bewegen, den Film anhalten und kommentieren.
Auch wenn es irgendwie komisch ist: Aber ich kann mir mittlerweile kaum noch vorstellen, mich mit meinen "Straßenklamotten" in ein Kino zu setzen, um dort "gemütlich" einen Film zu gucken. Gemütlichkeit bedeutet für mich eben genau diese Kontrolle: Dass ich jederzeit den Film pausieren und aufs Klo gehen kann. Dass ich mir wann auch immer einen Snack aus der Küche holen kann, ohne etwas zu verpassen. Dass ich, wenn mir danach ist, halbnackt auf der Couch sitzen kann. Und nein, "man" wird nicht zwangsläufig telefonieren oder irgendwas anderes machen. Schon gar nicht, wenn ein Werk (ganz unabhängig vom Medium) es vermag, den Zuschauer zu fesseln. Man kann das beileibe nicht derart pauschalisieren. Zumal man im Kino genauso das Smartphone in die Hand nehmen kann, wie man es bei anderen Kinobesuchern oft genug sehen kann. Aber wenn wir jetzt von Aufmerksamkeitsspannen anfangen, wird das schon wieder ein ganz eigenes Thema, das nicht speziell was mit dem Kino zu tun hat.
Die meisten Menschen verbringen inzwischen wesentliche Teile des Tages mit dem Blick auf ihre transportablen Bildschirme, konsumieren Nachrichten, Zeitungsartikel, Instagram-und Facebook-Clips, Werbespots und Serien auf Mobiltelefon, Laptop oder iPad. (...) ... als TikTok-Clips und Insta-Reels, als Vimeo-Teaser und YouTube-Bites: ein Hagel aus Wirklichkeitssplittern in Form von Mini-Comedies, News-Splitt und Meinungsgeröll...
Ich denke, über die "Qualität" dieser Informations- und Unterhaltungshappen braucht man nicht zu diskutieren. Aber auch das ist ein Phänomen der heutigen Zeit. Jobs und Arbeitsweisen haben sich verändert, es gibt das Home Office, in dem man Kollegen öfter virtuell als von Angesicht zu Angesicht sieht. Aber man muss auch nicht bei allem mitmachen. Ich z.B. nutze gar keine sozialen Netzwerke mehr, habe meine Bildschirmzeit aufs Nötige reduziert – und habe trotzdem kein Interesse am Kino mehr. Weil ich meine Zeit lieber mit sinnvolleren Dingen verbringe, als ich mich in einen dunklen Raum zu setzen und auf ein schönes Filmerlebnis zu hoffen.
Aber die Zauber-und Wirkungsmacht des Kinos wird bleiben, denn sie zielt nicht auf Aktualität, sondern auf Erweiterung des Blicks und die Mobilisierung der Sinne.
Ein sehr frommer Wunsch. Aber sehr bezeichnend, dass hier von der Aktualität gesprochen wird – denn das Kino passt einfach nicht mehr in die heutige Zeit und hat es versäumt, sich an diese anzupassen. Wie heißt es so schön? "Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen." Was der Autor hier dem Kino zuschreibt, würde ich tatsächlich auf etwas anderes anwenden: Wer eine "Erweiterung des Blicks" sucht und die "Mobilisierung der Sinne" triggern will, kann auch einfach raus in die Natur gehen – denn genau das scheinen viele in Zeiten der Digitalisierung arg zu vernachlässigen.